Traumasensibel

Der Begriff Trauma kommt aus dem griechischen und bedeutet „Wunde, Verletzung“. In der Psychologie wird unterschieden zwischen Schocktrauma (z.B. Unfall, Vergewaltigung – eben ein in sich abgeschlossenes Ereignis) und Entwicklungstrauma. Entwicklungstrauma kann entstehen, wenn Kinder nicht genügend Bindung bekommen, sie sich zu wenig gesehen fühlen oder sie unklare Nachrichten in der Kommunikation erhalten. All diese Situationen, die eher im feineren zwischenmenschlichen Bereich liegen, aber eine gravierende Wirkung auf unser Leben haben, können zur Entstehung von Entwicklungstrauma beitragen. Ob ein Ereignis oder länger andauernde Lebensumstände eine Person traumatisch verletzt hängt von vielen Faktoren ab. Wir können auch unbeschadet aus schrecklichen Erlebnissen herausgehen, wenn wir in uns und unserem Umfeld auf ausreichend Ressourcen zurückgreifen können.
In unserer Arbeit wissen wir um die Verletzlichkeit jeder einzelnen Person und achten sie mit ihrem ganzem Sein und ihrer Geschichte. Das bedeutet auch, dass wir Erfahrungen nicht relativieren. Niemand außer die Person selbst hat ein Recht darüber zu urteilen wie schlimm oder nicht schlimm eine Erfahrung ist. Es geht immer darum, wie es sich angefühlt hat für die jeweilige Person, nicht um eine „objektive“ Einordnung davon wie schlimm das Ereignis bzw. die Erfahrungen waren. Damit möchten wir, soweit das möglich ist, den Menschen, die zu uns kommen ein Gefühl des Angenommen-Seins mit dem, was sie mitbringen, geben.
Das heißt auch: Wir verstehen die (Lebens-)Lösungen einer Person zunächst immer als auf irgendeine Weise sinnergebend für die jeweilige Person. Alle Muster haben sich „aus gutem Grund“ entwickelt. Es ist eine große Leistung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, dass sie bis zu dem Punkt, an dem sie jetzt stehen, überlebt haben. Dies gilt es in der Begleitung wertschätzend anzuerkennen und für diese sichtbar zu machen.
Ein weiteres Anliegen ist es einen Raum zu eröffnen, der erlaubt das Unaussprechliche auszusprechen. Niemand wird zu irgendetwas gezwungen. Gleichzeitig ist die Atmosphäre so, dass es in Ordnung ist über Erfahrungen zu sprechen, die an anderen Orten tabuisiert werden. Manchmal hilft es, dass auch Andere im Kreis ihre Erfahrungen teilen, um das Gefühl des Allein-damit-seins zu überwinden. So kann die Gruppe zu einer Ressource werden.

Vielleicht denkst du jetzt: „Das kenne ich gar nicht, Trauma kommt doch eher selten vor?“ Dafür möchten wir dir hier einen kleinen Einblick in die praktische Arbeit mit Gruppen geben:
Bei einem Spiel berührst du die Person neben dir an der Schulter. Sie zuckt zurück. Die Jugendlichen stehen im Kreis und sollen sich die Hände geben. Eine*r wehrt sich dagegen. Während der Gruppenarbeit merkst du, wie eine*r immer mehr in sich zusammensackt und nur noch auf den Boden schaut.
Die Körper sprechen eine klare Sprache: Hier stimmt was nicht!
Aus der Traumatheorie wissen wir, dass all unsere Erfahrungen im Körper gespeichert sind. Diesen Umstand können wir uns nutzbar machen indem wir „seltsame“ Reaktionen besser einschätzen können. Es ist wichtig nicht noch zusätzlich gewaltvoll auf den instinktiven Rückzug einer Person zu reagieren, so wie es in Systemen wie Schule oder Familie häufig passiert. „Stell dich nicht so an.“ „Jetzt mach schon.“ „Du musst das jetzt tun.“ Diese Sätze lassen keinen Raum für eigenständige Entscheidungen und das Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse.

Uns ist deshalb besonders wichtig behutsam mit Menschen umzugehen, vor allem wenn wir deren Grenzen (noch) nicht kennen. Wir wollen unsere Arbeit so gestalten, dass es für jede Person möglich ist, die eigenen Bedürfnisse einzubringen. Jede*r soll mitmachen können, ohne die eigenen Grenzen zu verletzen.
Dafür ist das Tempo in der Arbeit relevant. Es wird dem laufenden Prozess angepasst: Stressreaktionen verleiten dazu schneller zu machen, es ist jedoch das Gegenteil, was gebraucht wird: In der Verlangsamung können wir genauer hinschauen, was für uns gerade passiert. Praktisch heißt das, dass Störungen immer Vorrang haben. Wenn uns Unsicherheiten auffallen, klären wir die Situation und stellen zuerst wieder Sicherheit her bevor wir weitergehen. Diese Vorgehensweise ermöglicht durch die häufige Kommunikation auch ganz nebenbei eine Stärkung des Blicks für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen.
Wir wählen Methoden, welche die Erfahrung von eingehaltenen Grenzen ermöglichen und dabei gleichzeitig helfen aus der vollständigen Vermeidung herauszutreten. Dadurch kann sich die Erfahrung von Bewältigung ergeben und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit wird ermöglicht. Dies wiederum führt dazu, dass sich der Handlungsspielraum der jeweiligen Person erweitert und somit mehr Ressourcen verfügbar sind. So wird die eigene innere Sicherheit gestärkt.