Vom 14. bis zum 16.01.2022 fand auf der Jugendburg Hohensolms unser Seminar zum Thema Gesprächsführungstatt. Ein besonderer Fokus lag dabei auf beratenden Gesprächen und dem traumasensiblen Arbeiten.
Eingestiegen sind wir Freitagnachmittag mit einem Austausch über die bisherigen Erfahrungen in Gesprächen: Was ist hilfreich für mich, wenn ich selbst Beratung benötige? Was hindert mich eher? Was habe ich als beratende Person bereits ausprobiert? Ausgehend von diesen eigenen Erfahrungen wurden im Plenum wichtige Grundregeln und -haltungen für die Gesprächsführung besprochen. Daran anschließend haben wir uns mit möglichen Phasen des Gesprächs beschäftigt. Ganz vorne stand hier das Joining, das Ankoppeln an die Person. Hier geht es darum ein gemeinsames Alltagsthema zu finden, um die erste Barriere der Unsicherheit zu überwinden und überhaupt ins Reden zu kommen. Dies akiviert unser Bindungssystem und sorgt dafür, dass wir uns sicherer fühlen. Dieser kleine Gesprächsanfang wurde in 2er-Gruppen direkt ausprobiert.
Bei strahlender Sonne sind wir Samstagmorgen auf dem Hof mit einigen Spielen und Körperübungen zum wach werden gestartet. Die letzte Übung leitete direkt ins Thema über: Immer zwei Personen balancierten einen Holzstab zwischen ihren Fingern und probierten dabei ohne zu reden verschiedene Möglichkeiten von Führen und Folgen (A führt, B führt, A und B wechseln sich dynamisch ab) aus. Die dabei gewonnen Erkenntnisse wurden auf das Thema Gespräche übertragen.
Nach einer kurzen Pause sind wir ins nächste Thema gestartet: Der Körper als Instrument im Gespräch. Dabei war es besonders wichtig den Teilnehmenden zu vermitteln, dass neben allem Reden die Körperlichkeit ein ebenso relevanter Teil der Gesprächsführung ist. Denn unser Körper nimmt im Kontakt zu anderen Menschen über verschiedene Sinneskanäle permanent sehr viel wahr, auch wenn unser Bewusstsein gar nicht so viel davon mitbekommt.
Es fanden Partner*innenübungen statt, bei denen es die Aufgabe war die Körpersprache des Gegenübers nachzuahmen. In der Fachsprache heißt das „Verkörperter Dialog“. Es geht darum, sich über den Körper mit dem Gegenüber zu synchronisieren und dadurch dem Körperbewusstsein zu vermitteln „Ich verstehe dich, ich kann nachfühlen wie es ist, ich bin ein sicheres Gegenüber“. Dies unterstützt das Vertrauen im Gespräch und aktiviert das Bindungssystem, sodass das Gespräch eine sichere Basis hat. Besonders bei Personen, die leicht überfordert sind im Gespräch ist dies eine hilfreiche Methode, um zu verhindern, dass sie innerlich aussteigen beziehungsweise dissoziieren.
Auch in weiteren Runden waren die Teilnehmenden eingeladen ihr Können auszuprobieren und zu erweitern: Im Austausch zu zweit konnten sie sowohl lernen den eigenen Körper in Gesprächssituation wahrzunehmen als auch das Gegenüber bewusster zu spüren. Fragen, die wir uns dazu gestellt haben waren: Wie bin ich selbst mit meinem Körper da im Gespräch? Welche Körperreaktionen bemerke ich? Wie spiegelt mein Körper das Befinden meiner Gesprächspartner*innen (Stichwort Spiegelneuronen)? Nehme ich das bewusst wahr? Wie kann ich das nutzen im Gespräch? Während des Austauschs gab es für alle die Möglichkeit auch persönliche Themen zu besprechen und mit Hilfe der verschiedenen angebotenen Methoden zu bearbeiten.
Am Nachmittag wurden mehrere Modelle zum Verständnis von Trauma vorgestellt. Unter anderem das Modell für strukturelle Dissoziation. Dieses beschäftigt sich mit den verschiedenen Anteilen innerhalb einer Person, die in dissoziativen Zuständen agieren. Besonders nützlich ist dieses Modell für die Arbeit mit und Beratung von traumatisierten Menschen, da alle diese Anteile im Gespräch anwesend sind bzw. unterbewusst mithören, auch wenn immer nur einer von ihnen gerade die Oberhand in der Situation hat. So dient es dazu das Verhalten des Gegenübers besser zu verstehen und fördert somit die Handlungssicherheit in der Arbeit mit von Trauma betroffenen Personen.
Das Modell geht zunächst von drei Anteilen aus:
- Dem ANP (Annähernd normaler Persönlichkeitsanteil), der für die Alltagsfunktionsfähigkeit zuständig ist
- Dem EPF (emotionaler Persönlichkeitsanteil fragil), der die Verletzungen trägt und beispielsweise traurig ist oder sich alleine fühlt
- Dem EPK (Emotionaler Persönlichkeitsanteil Kontrolle), der versucht alles zu kontrollieren. Am meisten kontrolliert er, dass die Gefühle nicht nach außen dringen, damit die Person der Außenwelt nicht ausgeliefert ist. So soll verhindert werden, dass die Person vielleicht wieder die gleichen schlimmen Erfahrungen macht wie früher (z.B. Beschämung, allein sein, nicht gesehen werden mit der eigenen Bedürftigkeit). Der EPK versucht also oftmals den EPF wegzudrücken und stumm zu machen.
Wichtig bei diesem Modell ist, dass all diese Teile eine Funktion haben: Sie waren zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben der Person überlebenswichtig. Sie wollen schützen vor Schmerz und sozialer Ausgrenzung. Das Problem ist jedoch: Sie sind in der Traumazeit, in der sie entstanden sind gefangen und agieren teilweise so als ob sie noch in genau diesem Alter/dieser Situation stecken würden. Das ist natürlich in manchen Situationen heute gar nicht mehr passend, da im Jetzt viel mehr Ressourcen und Fähigkeiten vorhanden sind als beispielsweise als Baby. So wird deutlich, weshalb es für Menschen mit Traumaerfahrungschwierig sein kann angemessen zu reagieren. Im Heilungsprozess geht es deshalb darum, diese inneren Anteile immer besser kennenzulernen und mit ihnen Kontakt herzustellen. In Gesprächen ist dieses Modell für die beratende Person sehr hilfreich, weil so Aussagen und Reaktionen besser eingeordnet werden können. Dies unterstützt die beratende Person im Gespräch dabei sich weniger zu verwickeln, die eigenen Grenzen bleiben klarer und besser geschützt. So entsteht die Möglichkeit Angriff nicht persönlich zu nehmen, sondern genau zu schauen wie Kontaktangebote gestaltet sein müssen, damit das Gegenüber diese auch annehmen kann.
Am Abend wurde durch gemeinsames Tanzen die Verankerung der Themen gestärkt. Alle konnten sich so nochmal neu erden und die eigene Energie im Körper spüren. Im Tanz war Leichtigkeit und Freude präsent.
Sonntagmorgen sind wir aufgewacht bei viel Schnee und blauem Himmel. So war die aktivierende Morgenrunde auf dem Hof mit viel Bewegung und Spaß, aber auch mit ruhigem Staunen über die Schönheit der Natur verbundenf. Im Anschluss fanden Rollenspiele statt. Auf der einen Seite, um einen Raum zu öffnen, in dem die bisherigen Tendenzen in der Gesprächsführung erkannt und hinterfragt werden können. Auf der anderen Seite, um eine Sammlung von Handlungsmöglichkeiten, Fragetechniken und Methoden auszuprobieren und einzuüben. So wurden die Teilnehmenden ermutigt, auch in (alltags-)praktischen Gesprächssituationen die kleinen Veränderungen weiter zu vertiefen.
Zum Abschluss des Wochenendes wurde eine Methode zur Ressorcenaktivierung und Entspannung vorgestellt. Hierbei geht es darum, einen Urlaubs- oder Wohfühlmoment so in der Erinnerung zu verankern, dass er in Stresssituationen abgerufen werden kann. Dorthin kann sich die Person jederzeit zurückziehen, um Energie zu schöpfen oder sich zu beruhigen.
Etabliert wird dieses innere Bild mit Hilfe von Imaginationstechniken. Dies geschieht in einem Gespräch zu zweit, in welchem zunächst Person A Person B diesen schönen Moment möglichst genau schildert. Person A schließt hierfür die Augen und versucht sich wieder in diesen Moment einzufühlen. Person B unterstützt diesen Prozess durch Fragen nach dem BASK-Modell, welches die Sinneseindrücke (visuell, auditiv, sensitiv, olfaktorisch, gustatorisch) hervorhebt und mit den Kognitionen (also Gedanken in diesem Moment) verbindet. Die Fragen gehen immer auf die Erzählungen von Person A ein und werden immer weiter vertieft. Die Fragen sollen dazu dienen, ein möglichst klares Bild des Wohlfühlmoments zu schaffen und dieses in der eigenen Vorstellung noch weiter auszugestalten, sodass es immer spürbarer wird. Dies führt auch im Hier und Jetzt zur Beruhigung des Nervensystems – der Atem geht tiefer, der Puls wird ruhiger, der Körper entspannt sich. Am Ende der Übung kann das entstandene innere Bild von Person A in einer Geste mit der Hand gespeichert werden, die auch später zum Abrufen des Wohlfühlmoments genutzt werden kann.
Wie immer haben wir Sonntagnachmittag den Prozess des Wochenendes reflektiert und uns sehr herzlich, auch von Hohensolms, verabschiedet. Die Umsetzung aller Seminarinhalte fand angepasst an unsere Arbeitsprinzipien Prozessorientiert, Subjektorientiert, Körperorientiert und Traumasensibel statt. So waren Inhalte und Thema der Seminartage zwar vorweg klar, die genaue Struktur wurde jedoch an die Bedürfnisse aller Anwesenden angepasst.