Reflektion statt Ignoranz – Weiße Privilegien erkennen und Verantwortung übernehmen

Im Mai haben wir uns zum Thementag „Check your white privilege – eine Annäherung an kritisches weiß-Sein“ in Friedberg getroffen. Um den Ansatz besser zu verstehen hier ein kleines Gedankenexperiment:
In einer Werbung von Brot für die Welt lacht ein gesund aussehendes, Schwarzes Mädchen mit einer Schüssel in der Hand in die Kamera. Daneben die Aufforderung „Werden Sie Pate!“.

Was denkst du, wenn du das Plakat siehst? Überleg‘ ruhig kurz.

Welche unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten geben diesem Plakat seine Bedeutung? Wie wird die Aufforderung Pat*in zu werden konstruiert? 

Die Message des Plakats kommt rüber, weil wir als weiße Menschen das Schwarze Mädchen mit „arm“ und mit „in Afrika lebend“ und mit „hilfsbedürftig“ assoziieren. Wenn wir jetzt Pat*in werden fühlen wir uns gut und als Retter*innen. (Anmerkung am Rande: Der Gedanke, dass weiße Menschen Schwarze Menschen retten „müssen“ stammt noch aus der Kolonialzeit, die in Deutschland viel zu wenig Aufarbeitung erfährt.) 

Doch was macht diese Bildsprache mit uns? Wie wirkt sich das beispielsweise auf mein unterbewusstes Gefühl meiner neuen Nachbarin gegenüber (6 Jahre, deutsch, wohl behütet, intelligent, Schwarz) aus? Was denke ich über sie? Muss sie mich erst überzeugen, dass sie nicht arm ist und aus Deutschland kommt? Muss sie mir beweisen, dass ich sie nicht retten brauche, sondern sie sehr gut auf ihren eigenen Füßen stehen und für sich einstehen kann? Dass sie mir in bestimmten Punkten (genau wie ich andersherum natürlich auch) Schritte voraus ist – vielleicht gebildeter, organisierter, selbstbewusster? Welche Hürden muss sie überwinden, um überhaupt von mir als Gegenüber auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden? 
Und: überträgt sich meine eigene Assoziation mit Schwarz-Sein (arm, ungebildet, Afrika, usw.) nicht unterbewusst auf meine Wahrnehmung allen Schwarzen Kindern gegenüber?

Welche Nachteile in der Gesellschaft erfahren diese aufgrund solcher Assoziationen? 

Nicht-weiße Personen erleben in unserer Gesellschaft täglich, dass ihnen aufgrund äußerer Merkmale Eigenschaften zugeschrieben (z.B. arm, kann gut tanzen) oder abgesprochen (z.B. ist nicht vertrauenswürdig) werden. Und dass sie im Unterschied zu weißen Personen als Repräsentant*innen für eine ganze ethnische Gruppe wahrgenommen werden. Die kritische weißseinsforschung will die weißen darauf aufmerksam machen, dass sie nicht einfach nur „Menschen“ sind, sondern weiße Menschen. Sie sind nicht ausgenommen von der gesellschaftlichen Zuschreibung durch äußere Merkmale. Und: Ihnen kommen Privilegien (also strukturelle Vorteile) aufgrund dieser Zuschreibung bzw. der machtvollen, normbestimmenden Position in der Gesellschaft zu. Diese Privilegien zu hinterfragen und die eigene Rolle darin ernst zu nehmen, ist ein Anliegen der kritischen weißseinsforschung. 

Wie kann ich als weiß gelesene Person mir meine Privilegien (und natürlich die dadurch entstehende Benachteiligung anderer Personen) bewusst machen? Inwiefern stellt weißseinals sichtbarer Maßstab das Nicht-weiße als Abweichung und minderwertige Abstufung dar? Wie kann ich dazu beitragen die strukturelle Benachteiligung von Menschen aufgrund bestimmter Merkmale in unserer Gesellschaft abzubauen? 

Mit diesen und weiteren Fragen haben wir uns an unserem Thementag anhand vielfältiger Reflexionsmethoden beschäftigt und sind dabei ganz schön nachdenklich geworden. Unser Fazit: Jede*r von uns ist aufgefordert die eigenen unbewussten Gedanken und Vorurteile wahrzunehmen und umzulernen. Nur so kann langfristig Teilhabe für alle Menschen möglich werden. Auch wir im Verein wollen immer wieder überlegen welche Bilder von Menschen wir konstruieren und wie wir zu einer vielfältigen Gesellschaft beitragen können.